Die HPI Schul-Cloud hat es sich als Ziel gesetzt, Lehrer in allen Belangen zu unterstützen. Die Technologie soll Lehrer dabei keineswegs überflüssig machen, sondern sie in die Lage versetzen, Verwaltungsaufgaben effizienter zu erledigen und besseren Unterricht anbieten zu können.
Während große Teile der Bevölkerung das Betreuungsverhältnis Lehrer zu Schüler bemängeln und eine Aufstockung des Personals fordern, hat Salman Khan, der Gründer der Khan Academy, einen ähnlichen Ansatz wie die HPI Schul-Cloud. Seiner Ansicht nach müsse man die „wertvolle Zeit, die ein Lehrer mit einem Schüler verbringt“, maximieren, so Khan unter anderem in einem TED-Talk aus dem Jahr 2011. Dies könne zwar einerseits durch mehr Lehrkräfte geschehen, allerdings kann man auch durch andere Unterrichtsmethoden als den immer noch weit verbreiteten Frontalunterricht mehr Zeit für Interaktion zwischen Lehrern und Schülern gewinnen.
Auch die HPI Schul-Cloud bemüht sich, durch Technologie neue Methoden im Unterricht zu ermöglichen. So erarbeitete und implementierte beispielsweise Michael Janke im Rahmen seiner Masterarbeit den „Digitalen Klassenraum“, in dem Gruppenarbeiten und vor allem das Teilen und die Diskussion von Ergebnissen über Tablets, Smartphones und digitale Tafeln ermöglicht wird. Salman Khan bietet mit der Khan Academy ein Werkzeug an, das vor allem das Arbeiten nach dem Flipped-Classroom-Konzept fördert. Im Folgenden wird zunächst seine Vision und sein Ansatz beschrieben. Weiterhin wird gezeigt, wie das in der Masterarbeit vom Autoren dieses Artikels entstandene Konzept zum Erstellen, Kategorisieren und Teilen angewendet werden kann, Khans Ansatz zu erweitern und in die HPI Schul-Cloud zu bringen, um den teilnehmenden Lehrern ein Werkzeug an die Hand zu geben, die Flipped-Classroom-Methode sinnvoll einzusetzen.
Ziel: Beherrschung eines Themas statt Bestehen eines Testes
Khan kritisiert an dem aktuellen Bildungssystem vor allem, dass alle Schüler in dem gleichen, vorgegebenen Tempo durch den Lehrplan geführt werden. Ein Thema werde eingeführt, vom Lehrer erklärt, in Hausaufgaben und im Unterricht geübt und anschließend ein Test geschrieben. In diesem werden dann zwar Lücken im Verständnis der Schüler aufgezeigt, allerdings gibt es keine Zeit, auf diese einzugehen. Ein bestandener Test (und teilweise sogar nicht bestandene Leistungen) haben kaum Einfluss auf den weiteren Verlauf des Unterrichts.
Je nach Lehrer und zur Verfügung stehender Zeit werden eventuell häufig vorkommende Fehler besprochen, aber eine differenzierte Beschäftigung mit den Wissenslücken findet nicht statt. Es bestehe zwar Einigkeit unter Lehrern, dass es sinnvoll wäre, diese Lücken zu füllen, bevor im Unterrichtsstoff weitergegangen wird, es fehlt jedoch die Zeit, dies zu tun. Das führt jedoch logischerweise dazu, dass sich kleinere Lücken speziell bei Inhalten, die aufeinander aufbauen, über die Zeit zu großen Problemen entwickeln. In Folge dessen scheitere man logischerweise an komplexeren Themen.
Khan argumentiert, dass Schüler unterschiedlich schnell arbeiten und lernen. Wenn man bei einem Thema den Anschluss verloren hat, so scheitere man später und ginge davon aus, dass man einfach nicht intelligent genug für das Thema sei. Khans These ist, dass dies nicht stimme und nur in dem eiligen Voranschreiten im Unterrichtsstoff begründet ist. Sein Ansatz ist es, den Fortschritt im Lehrplan nicht von Zeitplänen abhängig zu machen, sondern einzig von der Beherrschung des Themas. In der Vergangenheit sei dies nicht möglich gewesen, da nicht annähernd genug Lehrkräfte vorhanden waren, um alle Schüler angemessen in ihrem individuellen Lernfortschritt zu begleiten. Die moderne Technologie löse dieses Problem, so Khan.
Das Kernkonzept der Khan Academy besteht aus Lehrvideos, die als Einführung in ein Thema dienen. Weitere Videos vertiefen diese Inhalte und erklären, wie sie angewendet werden können. Dadurch können Lehrer das Konzept des klassischen Frontalunterrichts umkehren. Im sogenannten Flipped-Classroom-Prinzip erarbeiten sich die Schüler ein Thema selbstständig zu Hause, wohingegen die Zeit in der Schule dazu genutzt wird, den Stoff zu üben und Wissenslücken anzusprechen und an ihnen zu arbeiten. Das steht im kompletten Gegensatz zu dem Ansatz, dass Lehrer ein Thema im Unterricht einführen und erklären und die Schüler in Hausaufgaben die Anwendung dessen üben.
Als weitere Elemente bietet die Khan Academy Übungsmodule an. In diesen bekommen Schüler Aufgaben zu dem gerade eingeführten Thema gestellt und können direkt online die Lösung angeben. Bei einer falschen Lösung wird eine Erklärung angezeigt, wie man zur richtigen Lösung kommen könne. Erst, wenn ein Schüler zehn zu einem Thema gehörende Aufgaben in Folge richtig gelöst hat, wird das Thema als gemeistert angesehen.
Um die Lehrer in die Lage zu versetzen, die Schüler individuell zu fördern, bietet die Khan Academy zusätzlich diverse Ansichten an, die dem Lehrer den Fortschritt der Schüler anzeigen. So kann er genau sehen, welche Themen die Schüler gerade bearbeiten, welche Lehrvideos sie sich dazu angesehen haben und wie sie in den zugehörigen Übungen abschneiden. Der Grundgedanke ist der, dass ein Lehrer sich diese Übersicht anschaut, bevor er den Klassenraum betritt. Während der Unterrichtsstunde können die Schüler dann selbstständig weiter üben. Hat das System jedoch festgestellt, dass ein oder mehrere Schüler bei einem Thema feststecken, kann der Lehrer entweder selbst individuell auf sie eingehen. Sieht er jedoch, dass ein anderer Schüler dieses Thema bereits beherrscht, so kann er auch diesen bitten, den anderen Schülern zu helfen. So könne zwar nicht das Lehrer-zu-Schüler-Verhältnis verbessert werden, wohl aber dafür gesorgt werden, dass der Lehrer mehr wertvolle Zeit mit den Schülern verbringen kann. In seinen Worten werde also Technologie dazu genutzt, den Unterricht menschlicher zu gestalten.
Dieser Ansatz wurde seinen Angaben nach von vielen Lehrern erfolgreich ausprobiert. Ein wiederkehrendes Muster beschreibt er anhand von Daten einer fünften Klasse, die im Rahmen eines Pilotprojektes im Matheunterricht die Khan Academy verwendet hat. So sei stets erkennbar, dass es einige Schüler gebe, die zu Beginn etwas länger brauchen. Einige von ihnen würden dann aber stark an Geschwindigkeit zulegen und am Ende des Schuljahres zu den besten Schülern gehören. Wenn sie nicht die Möglichkeit gehabt hätten, in ihrem eigenen Tempo voranzuschreiten, wären sie höchstwahrscheinlich abgehängt worden. Die zu Beginn des Schuljahres angefallenen Wissenslücken würden ein Fortschreiten des Schülers verhindern. So könne es passieren, dass leistungsstarke Schüler das Bild von sich als schwachem Schüler in diesem Bereich bekommen und es für den Rest ihres Lebens behalten. Ein individualisiertes Fortschreiten und Üben würde dies effektiv verhindern.
Unterstützung verschiedener Lerntypen durch Kategorisierung von Lehrinhalten
Das vorgestellte Konzept steht und fällt mit der Existenz von geeignetem Lehrmaterial und Übungen. In Deutschland beispielsweise kann die Khan Academy nicht umfassend eingesetzt werden, da viele der Inhalte nicht in deutscher Sprache vorhanden sind. Eine weitere Schwachstelle der Khan Academy liegt in der Fokussierung auf Videos begründet. Auch wenn Videos einige entscheidende Vorteile gegenüber klassischem Frontalunterricht aufweist (z.B. die Möglichkeit, eigene Pausen zu machen, die Geschwindigkeit selbst festzulegen und Abschnitte so oft wie nötig wiederholen zu können, ohne dass es dem Lehrer gegenüber peinlich ist), so beschränkt sich das Video doch größtenteils auf einen Lerntypen. Eine Differenzierung ist nicht vorgesehen. Es ist dem Lehrer auch nicht möglich, eigene Inhalte zu einem Kurs hinzuzufügen und eigene Übungen anzulegen. An dieser Stelle könnte die HPI Schul-Cloud ansetzen und weitere Möglichkeiten eröffnen.
Hinweise der Redaktion
Bildnachweis Titelbild: HPI/D. Lässig
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