„Sagen, was ist“, soll der Spiegel-Leitsatz lauten.
Just in der Ausgabe in der der Spiegel umfassend erklärt, was im Fall Relotius alles schief gelaufen ist und was er daraus lernen will, ist am 24. Mai der Artikel „Unter den Wolken“ im Heft erschienen – ein Gastbeitrag von Christian Füller, der Fehler enthält, der Fakten und Zitate verdreht, um seine bereits vor der Recherche feststehende These zu transportieren.
Wir erwarten vom Spiegel zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Richtigstellung sowohl im Printmagazin als auch online. Einige Faktenfehler hätten sich mittels Google in Minuten vermeiden lassen. Hier eine Auflistung konkreter Fehler, Halbwahrheiten und Entstellungen im Artikel:
- Der Artikel beginnt mit einem wörtlichen Zitat unseres technischen Leiters Jan Renz. Die Aussage ist so nur nie gefallen. Da wir fast alle Veranstaltungen aufnehmen, hier nachprüfbar in den ersten 45 Sekunden: https://www.tele-task.de/lecture/video/7351/
- Auch von einem "Ausfall" war nicht die Rede. Zu keinem Zeitpunkt. Ebenfalls nachprüfbar in dem obigen Video der Veranstaltung (diesjähriges HPI Schul-Cloud-Forum Ende März). Die HPI Schul-Cloud ist in den Wochen zuvor nie ausgefallen.
- Wir entwickeln am HPI keine vom Bund beauftragte "nationale" HPI Schul-Cloud. Wir werden vom BMBF im Rahmen einer Zuwendung gefördert - nicht nur vergaberechtlich ist das ein himmelweiter Unterschied.
- „Ein schönes Vorhaben, nur leider will bisher kaum jemand die Wolke nutzen… Brandenburg hat immerhin Interesse bekundet“, schreibt Herr Füller in seiner Geschichte. In Wirklichkeit gibt es aber nicht nur mit Niedersachsen ein gemeinsames Pilotprojekt. An drei Brandenburger Schulen wird die HPI Schul-Cloud bereits genutzt, 51 weitere kommen zum nächsten Schuljahr hinzu. Außerdem arbeiten wir seit Beginn des Forschungsprojekts mit den Schulen des Excellence-Schulnetzwerks MINT-EC zusammen. Wir sind nämlich in der Tat das, was Herr Baeck sagt: Ein Pilotprojekt in der Beta-Phase – wir bieten kein „fertiges Produkt“ an. Unsere Schulen sind keine reinen Anwender, sondern sind aktiv an der Entwicklung beteiligt.
- “Bayern, Bremen und Hamburg hingegen arbeiten mit privaten Anbietern zusammen“, schreibt Füller. Auch falsch: Bayern entwickelt mit Mebis sein eigenes System, Hamburg nutzt das von NRW entwickelte Logineo. Da gibt es keine Zusammenarbeit mit privaten Anbietern.
- „ Es könne nicht angehen, dass das Plattner-Institut mit Bundesgeld etwas entwickle, wofür es keine Kompetenz besitze, schreibt das Bündnis für Bildung 2016 an Wanka“, so Füller in seinem Artikel. Auch falsch: Laut dem Bündnis für Bildung hat es ein solches Schreiben nie gegeben.
- iServ und Logodidact sind Schulserver und keine Cloud-Systeme. Im Gegensatz zur HPI Schul-Cloud konzentrieren sich Schulserver auf die Schulverwaltung und Organisation. Wir dagegen auf das sogenannte pädagogische Netz in Schulen, mit dem Ziel, pädagogische Use-Cases abzubilden. Technisch und vom Produkt her liegt zwischen beiden Systemen ein himmelweiter Unterschied.
- Der Artikel ist letztlich ein Plädoyer für eine breitere Nutzung privater Clouds in deutschen Schulen. Füller argumentiert, Privatanbieter seien weiter und könnten es besser. Interessanterweise nennt er die Namen dieser Anbieter nicht - sie heißen Google, Microsoft und Apple. In vielen Diskussionen geht es um Datensouveränität, Datenschutz und darum, dass wir uns in Deutschland und Europa nicht weiter abhängig machen sollten von den großen US-amerikanischen Unternehmen. Und der Spiegel stellt sich hinter die These, dass es in unseren Schulen diese Abhängigkeit geben, ja dass sie ausgebaut werden soll? Die am Schluss genannte Voltaire-Schule nutzt im übrigen Google Classroom – von Herrn Füller euphemistisch nur als "handelsübliches System" im Artikel bezeichnet.
- Wir wollen ein offenes Bildungssystem und das fängt für uns bei der eingesetzten Technologie an. Es gibt einen sehr guten Grund dafür, in unseren Schulen auf Open-Source-Software und offene Bildungsmaterialien zu setzen. Public Money für Public Code, anstatt Vendor Lock-In. Die HPI Schul-Cloud nutzt übrigens die weitestgehende Lizenz für Freie Software, AGPL 3.0 mit Copyleft. Die Vision des Autors hat damit, mit Open Education, nicht das Geringste zu tun.
- Und noch zum Schluss des Artikels: Die Voltaireschule ist nicht wenige hundert Meter, sondern 6,4 km mit dem Fahrrad vom HPI entfernt. Die dem HPI nächstgelegene weiterführende Schule, das Filmgymnasium Babelsberg, nutzt die HPI Schul-Cloud. Google Maps hätte der Spiegel-Dokumentation hier sehr schnell Aufschluss geben können, aber das hätte Herrn Füller natürlich den Schluss seiner Geschichte verhagelt – so ist es aber komplett falsch. Und nebenbei ist es auch noch die 10. Klasse, die Goethes Faust behandelte, nicht die 13.
Update zum Blogbeitrag:
Im SPIEGEL vom 08.06.2019 erschien folgende Korrektur: